VI.
Der Heirathsvertrag.
 
 

   »Mein Himmel! in was für einer verkehrten Welt
lebt man jetzt!« rief Herr Peter Asten und warf seine
dampfende Pfeife aus der Hand. »Jedes Ei will klü-
ger seyn, als die Henne, und ein ehrlicher Vater muß
seine widerspenstigen Kinder mit Donnerwettern des
Zorns in die Arme des Glücks treiben! – Kurz,
Ferdinand, Ein Wort für tausend: du heirathest die
für dich gewählte Braut, und hälst dich auf den Abend
bereit, den Ehevertrag zu unterzeichnen!« –

   Ferdinand wollte neue Vorstellungen beginnen; aber
der Vater sprang ungestüm auf, schob ihn, ohne wei-
ter ein Wort zu verlieren, mit beiden Händen zur
Thür hinaus und verriegelte sie.

   Traurig ging der junge Mann in sein Zimmer und


 

schrieb einen langen, rührenden Brief, worin er dem
Vater das bis jetzt verschwiegene Bekenntniß that: sein
Herz sey nicht mehr frei, sondern das ewige Eigen-
thum eines armen aber edeln Mädchens. – Verlorne
Mühe! Herr Peter Asten sandte den Brief unerbro-
chen zurück, betrieb die Verlobungsanstalten mit dop-
peltem Eifer, und gegen Abend sammelte sich in steifen
Feierkleidern die von ihm eingeladene Gesellschaft,
worunter Herr Joachim Olsen und dessen bräutlich
geschmückte Tochter Dorothea die Hauptpersonen waren.

   Die Herren Asten und Olsen hatten sich dreißig
Jahre lang täglich auf der Börse gesehen und gespro-
chen, hatten manches gute Geschäft mit einander ge-
macht, und waren so nach und nach Gewohnheits-
freunde geworden. An Einem Tage legten sie, durch
die Stürme der Zeit dazu bewogen, ihre Handlungen
nieder und traten sie Fremdlingen ab: denn Olsens
Tochter war sein einziges Kind, und Astens Sohn,
der ebenfalls keine Geschwister hatte, bezeigte von Ju-
gend auf eine so unüberwindliche Abneigung gegen die
Kaufmannschaft, daß sich der Vater nach langen, frucht-
losen Kämpfen entschließen mußte, ihn seinem Hange
zu Künsten und Wissenschaften zn überlassen. Als
sich die alten Herren, die beide Witwer waren, zum


 

letzten Mal auf der Börse sahen, trafen sie gelegent-
lich und mit so kaltem Blute, als sprächen sie von
einem Wollhandel, die Übereinkunft, ihre Kinder mit
einander zu vermählen. Keinem von Beiden fiel es
ein, daß die jungen Leute andern Sinnes seyn könn-
ten. Darum erstaunte Herr Asten nicht wenig, als
Ferdinand die Vollziehung des auf der Börse geschlos-
senen Vertrages von sich ablehnte. Dorothea hin-
gegen machte nicht die geringste Schwierigkeit, den
auf sie gestellten Herzenswechsel zu honoriren. Diesen
kindlichen Gehorsam konnte sie sich aber in der That
nicht als ein schweres Opfer anrechnen; denn Ferdi-
nand war an Körper und Geist ein liebenswürdiger
Mann und einst der Erbe eines Vermögens, das sogar
den ansehnlichen Reichthum ihres Vaters weit überwog.

   Doris Olsen (so nannte sie sich, weil ihr der Name
Dorothea zu altfränkisch klang) hatte kurz zuvor ihren
zwei und zwanzigsten Geburtstag mit großem Gepränge
begangen. Die Zahl XXII glänzte mit Zuckerschrift
auf Torten, brannte mit Feuerzügen im erleuchteten
Garten, stand den poetischen Glückwünschen einiger
Hausschmarotzer auf die Stirn gedruckt, und war noch
an vielen andern Orten angebracht, um das Kirchen-
buch, das der Königin des Festes eine Last von drei-


 

ßig Jahren aufbürden wollte, Lügen zu strafen. Wer
aber von der überall in's Auge springenden Ziffer hin-
weg in Dorchens Angesicht sah, stellte der geistlichen
Urkunde vollen Glauben bei, und würde sogar ihre
Wahrhaftigkeit nicht bezweifelt haben, wenn sie auch
ein Jahrzehend mehr angesagt hätte. Es machte daher
einen widrigen Eindruck, daß sich die reizlose Dame
noch jetzt, da der Herbst ihres Lebens mit starken
Schritten hereinbrach, wie ein erst aufblühendes Mäd-
chen schmückte, und die kindische Naivheit, der aus
Kotzebue's Indianern in England bekannten Gurli nach-
äffte. Diese lächerliche Ziererei, die sie überall zur
Schau trug, hätte den ernsten und geradsinnigen Fer-
dinand von ihr zurückgeschreckt, wenn er auch sonst
geneigt gewesen wäre, sich mit ihr zu verbinden.

   Die beiden Alten hatten sich über die Punkte der
Ehestiftung unter vier Augen verglichen, und das Ge-
schäft, sie in eine rechtskräftige Form zu bringen, dem
erfahrenen Notar Kilian überlassen. Dieser gute und
ziemlich betagte Mann war in dergleichen Angelegen-
heiten der gewöhnliche Schriftsteller, und hatte in sei-
nem langen, arbeitsamen Leben gegen tausend Ehe-
zärter*) entworfen, ohne eben dadurch viel zärt-

  *)Ehezärter oder Ehezarter: eine noch an vielen Orten
     gewöhnliche Benennung der Ehestiftungs-Urkunde.


 

liche Ehen zu stiften. Doch seine Schuld war es
nicht, daß bisweilen die von ihm verfaßten Bundes-
verträge einen ewigen Hauskrieg zur Folge hatten.
Er schrieb, was man verlangte; kein Jota zu viel
oder zu wenig. Mit dieser Pünktlichkeit hatte er auch
den Auftrag der Herren Asten und Olsen vollzogen,
und überbrachte jetzt die gefertigte Schrift, die in einer
großen Papierrolle aus der Tasche seines breiten Ehren-
kleides hervorragte.

   Die Gesellschaft setzte sich in bunter Reihe um eine
mit Erfrischungen beladene runde Tafel. Diesem glän-
zenden Bogen fehlte nur noch der Schlußstein – der
Bräutigam. Er kam nicht. Unruhig blickte Herr
Asten oft nach der Thüre, stand endlich auf und eilte
mit starken Schritten in's Hinterhaus, wo sein Sohn
ein paar Zimmer bewohnte, und jetzt in häuslicher
Kleidung, den Kopf auf den Arm gestützt, in einem
Sorgestuhle saß.

   »Nun, was heißt das? Warum kommst du nicht?«
polterte der Vater. »Die Braut ist da, der Notar
ist da, der Kontrakt ist fertig!« –

   »Ich kann ihn nicht unterschreiben;« sagte Ferdinand
mit weicher, wehmüthiger Stimme. »Vater, ich be-
schwöre Sie, stehen Sie von dieser Forderung ab,


 

zwingen Sie mich nicht, Ihnen öffentlich in dieser
Sache den willigen Gehorsam zu verweigern, den Sie
in allen andern Fällen ohne Ausnahme von mir erwar-
ten können. Ich stürze mich auf Ihren Wink lieber
in ein Feuer, als in die Arme des Frauenzimmers, das
Sie mir aufdringen wollen.« –

   »Wunderlicher Mensch!« versetzte der Vater mit
erzwungener Kälte: »Du geberdest dich, als wäre von
einem Drachen die Rede!« –

   »Es ist nicht möglich; ich kann mein Herz nicht
theilen;« fuhr Ferdinand fort. »O, hatten Sie doch
meinen heutigen Brief gelesen! Er enthielt ein Ge-
ständnis, das ich Ihnen nicht länger verschweigen kann.
Ich liebe ein tugendhaftes Mädchen; die arme Tochter
eines verstorbenen Malers; Luise Baumgarten ist ihr
Name.« –

   Der Alte gerieth außer sich. Eine arme Schwie-
gertochter war ihm ein verhaßter, ein unerträglicher
Gedanke. Ferdinand hielt standhaft, doch mit unver-
letzter Achtung gegen seinen Vater, den Sturm aus
und wankte nicht. Herr Asten mußte sich allein und
ohne etwas ausgerichtet zu haben, zur Gesellschaft
zurückbegeben. Er brachte vor der Thüre des Ver-
sammlungssaales seine verstörten Gesichtszüge so viel


 

als möglich wieder in Ordnung, trat mit erkünstelter
Unbefangenheit hinein und sagte: »Meine Damen und
Herren, ich muß die Abwesenheit meines Sohnes bei
Ihnen entschuldigen. Der junge Sausewind hat sich
bei einem Spazierritte, den er am heutigen Morgen
in zu leichter Kleidung gemacht hat, eine Verkältung
zugezogen, die ihn wohl nöthigen wird, einige Tage
das Bett zu hüten.

   Mit tragischen Worten und Geberden legte die
ganze Gesellschaft ihr Bedauern an den Tag, und
Doris=Gurli flog sogar mit einem lauten Schrei nach
der Thüre, um den Kranken zu besuchen. Aber ihr
Vater ereilte und führte sie mit einem verdrießlichen
Gesichte auf ihren Stuhl zurück. Ihm war das Wort
V e r k ä l t u n g  sonderbar aufgefallen, und hatte ihn
erst an den Gegensatz erinnert, daß er bei dem jungen
Asten nie eine Spur von zärtlicher Wärme gegen
Dorotheen bemerkt habe. Das war freilich jetzt, in
der Stunde, da die Ehestiftung vollzogen werden sollte,
eine sehr späte Entdeckung. Aber sie früher zu machen
war auch beinahe nicht möglich gewesen. Doris und
Ferdinand hatten sich bisher nur dann und wann
im Getümmel großer Gastmähler gesehen und gesprochen,
und nicht im Traume daran gedacht, ein Liebes- und


 

Ehebündniß mit einander auszurichten. Den auf der
Börse getroffenen Seelenhandel erfuhren sie erst an
dem Tage, da ihnen Abends nach einer kurzen ernst-
und scherzhaften Einleitung der Heirathsvertrag vor-
gelegt und die Feder zur Unterschrift in die Hand
gegeben werden sollte. Mit einem solchen Machtstreiche
wollten die alten soliden Herren, denen das sonst ge-
wöhnliche Vorspiel der Liebe ein ganz entbehrliches
Getändel schien, die Sache kurz und gut abthun.

   Daß dieser schöne Plan wenigstens jetzt mißglückte,
ging dem Herrn Olsen stark im Kopfe herum, und
allerdings hatte seine Tochter am meisten dabei zu
verlieren. Schmollend nahm er an dem lebhaften Ge-
schwätz um ihn her keinen Theil, und sah mit einem
wahren Eulengesichte bald nach der Uhr, bald nach
der Gegend, wo er seinen Hut und Stock hingelegt
hatte. Diese drohende Auflösung der Gesellschaft setzte
einige Mitglieder, die ihre sehnsuchtsvolle Erwartung
eines leckern Nachtschmauses nicht gern aufgeben woll-
ten, in große Bestürzung. Aber scherzend strich der
Hausvater seinem grämlichen Freunde die Runzeln
von der Stirn und erklärte mit möglichster Heiter-
keit, daß jener unangenehme Vorfall die Freude des
Tages nicht stören dürfe. Es sey jetzt, setzte er hinzu,


 

um so nöthiger, beisammen zu bleiben, und auf Bes-
serung des Kranken gemeinschaftlich und tapfer zu
trinken.

   Olsen ließ sich beruhigen, und man zechte brav;
doch Ferdinand's Gesinnungen wurden nicht besser.
Der Vater, bis zur Wuth aufgebracht, schied sich am
folgenden Tage mit ihm vom Tische, verwies ihn
ganz aus seinen Augen, und drohte mit Enterbung.
Das Letztere hielt er für das schrecklichste Donner-
wort, das sich aussprechen lasse; und es machte den-
noch zu seinem Erstaunen nicht den geringsten Eindruck
auf den Jüngling, der sein geliebtes Mädchen um
kein Peru oder Eldorado vertauscht hätte. Aber der
Zwist an und für sich selbst, in den er mit einem
kindlich verehrten Vater gerathen war, schlug seinem
weichen Gemüthe so tiefe Wunden, daß er erkrankte.
»Geht zum Doktor!« sagte der Zürnende kalt, als er
durch einen Diener davon Nachricht erhielt. Er be-
kümmerte sich um den Leidenden nicht weiter.

   Der verständige Arzt sah bald, daß hier mit der
Kunst des Hippokrates nichts auszurichten war. Die
kranke Seele mußte geheilt werden. Er, Hausarzt und
Hausfreund zugleich, nahm es auf sich, das in diesem


 

Falle einzig wirksame milde Oel der Verzeihung und
des Nachgebens aus dem steinernen Vaterbusen zu pressen.

   Das schwere Geschäft gelang; nur war das gewon-
nene Oel von harten Mischtheilen nicht rein. »Ich
vergebe dem Schwärmer, und er heirathe, wen er
will! Aber er bringe mir nie sein Weib vor die Au-
gen, und ich leb' oder sterbe, so hat er von mir nichts
mehr zu hoffen.« – Das war, nach langer Verhand-
lung, der letzte, unabänderliche Beschluß.

   Ferdinand, durch diesen Halbtrost genesen, eilte zum
Vater und dankte ihm dafür. »Du kannst jetzt thun,
was du willst;« sagte Dieser. »Doch es bleibt dabei,
daß ich mein mühsam erworbenes Vermögen in einer
unbesonnenen Ehewirthschaft nicht versplittern lasse.« –

   »Ich entsage mit Freuden;« antwortete der Sohn.
»Das Wiedergeschenk Ihres Vaterherzens macht mich
reich.« –

   »Schöne Worte und weiter nichts!« versetzte der
Alte. »Du hättest dich bei der Ehestiftung, die der
Notar schon in der Tasche hatte, besser befunden. –
Geh nun,« fuhr er bitter fort – »geh hin zu ihm
mit deiner holden Braut, und schließt einen Vertrag,
so gut als ihr könnt! Er wird verdammt kahl aus-
fallen.« –


 

   »Sie scherzen, mein Vater!« erwiederte der Sohn
in einem gutmüthigen Tone: »Aber ich werde Ernst
daraus machen.« –

   Er verbeugte sich ehrerbietig und trat ab. Der
Vater schickte ihm ein unväterliches Hohngelächter nach.

   An einem der nächsten Tage kam der Notar Kilian
mit ungewöhnlichen Doppelschritten zu ihm. »Mein
werther Herr Asten,« begann er keuchend, »ich halte
mich für verpflichtet, Ihnen zu melden, daß Dero
Herr Sohn eben in meiner Behausung war und an-
fragte: wann er mit seiner Verlobten, einer gewissen
Luise Baumgarten, bei mir erscheinen könne, um einen
Heirathsvertrag zu vollziehen. Ich stutzte – und da
ich um keinen Preis etwas thun möchte, das Ihnen,
mein Hochverehrter, entgegen wäre – – «

   »Schreiben Sie in Gottes Namen, was der Thor
begehrt!« fiel Herr Asten ein. »Er hat mir meine
Einwilligung abgetrotzt; das Mädchen soll übrigens
gut und rechtschaffen seyn. Ich begreife nur nicht,
was die armseligen Menschen einander zusichern wol-
len, da ich meinem Sohn Enterbung angekündigt habe.« –

   »Enterbung?« fragte der Rechtsgelehrte in einem
langgezogenen Tone. »Sie haben in die Heirath ge-


 

willigt – des Mädchens Ruf ist unbescholten – und
dennoch Enterbung? – Dieser Entschluß dürfte wohl
bei jenen Umständen von den Gesetzen für ungültig
erklärt werden.« –

   »Pah! pah! der Reiche macht sich seine Gesetze
selbst.« –

   »Streiten wir darüber nicht, mein theuerster Gön-
ner!« sagte der Notar. »Mir ist's genug, daß Sie
die Abschließung des Heirathsvertrages erlauben. Un-
ter dieser Voraussetzung habe ich das junge Paar
heute Nachmittags um vier Uhr zu mir beschieden.« –

   »In Gottes Namen!« rief Herr Asten, und der
Notar empfahl sich.

   Die kurzen Entscheidungsgründe, die der Jurist ge-
gen die vorhabende Enterbung angeführt hatte, ver-
senkten Jenen in ein langes Nachdenken. Er ging zu
einem andern Rechtsfreunde, trug ihm den Fall vor,
und erhielt gleichen Bescheid. »Hm! hm!« sprach er
zu sich auf dem Heimwege: «ich habe mich also in
einer unauflöslichen Schlinge gefangen! Ich kann als
ehrlicher Mann mein Jawort nicht zurück nehmen;
und alles wohl überlegt, möcht' ich selbst die Närrin
Doris nicht heirathen. Die Malerstochter hingegen
lobt jeder, der sie kennt. – O, wäre sie nur nicht


 

so arm! – Aber ich bin doch neugierig, sie zu sehen.
Man hat ja, wie die Krämer sagen, das Ansehn um-
sonst.«

   Es war Nachmittags gegen vier Uhr, als er auf
der Straße dieses Alleingespräch hielt. Schon nahe
vor seinem Hause kehrte er plötzlich um, schlüpfte durch
eine Hinterthür in Kilian's Wohnung, und überraschte
den öffentlichen kaiserlichen Schreiber mit der hastigen
Bitte: »Erlauben Sie mir, Freund, mich in Ihren
Alkoven einzuquartiren! Ich will hinter dem Verhang
der Glasthüre die Braut meines Sohnes in Augen-
schein nehmen.«

   »Thun Sie, als wären Sie hier zu Hause!« sagte
der Notar. In demselben Augenblicke zog schon Fer-
dinand die Klingel des Vorsaals, und Herr Asten
flüchtete geschwind in den Alkoven.

   Wahrlich! das Geschäft eines Notars ware das
angenehmste von der Welt, wenn täglich im Schreib-
zimmer so reizende Mädchen erschienen, als jetzt eins
mit gesenkten Taubenaugen hereintrat. Luise, in der
Rosenblüthe ihres achtzehnten Jahres, war eine so
zarte, wunderliebliche Gestalt, daß bei ihrem Anblick
sogar im Busen des greisen Rechtsgelehrten die längst
erstorbenen Gefühle des Schönen erwachten. Mit ver-


 

klärtem Gesichte, aus welchem alle finstre Wolken, die
sich seit vierzig schwülen Geschäftsjahren darauf gela-
gert hatten, plötzlich verschwanden, zwang er seinen
steifen Rücken zu zehn und mehrern behenden, wellen-
förmigen Beugungen, die leider nicht so zierlich ge-
riethen, als er es wünschte. Ungestüm warf er dann
einen dicken, schlafenden Mops aus dem verjährten
Besitze des Sopha's, und führte Luisen, wie ein Ce-
remonienmeister der Vorzeit, mit den äußersten Fin-
gerspitzen an den geräumten Platz.

   Auch hinter der Glasthüre ward bei der Ankunft
des schönen Mädchens ein Ausruf des Beifalls schier
laut. Er galt nicht sowohl der Huldin selbst, als
vielmehr ihrer netten, aber möglichst einfachen Klei-
dung, die dem Lauscher die erfreuliche Zusicherung
gab, daß seine künftige Schnur keine eitle Zierpuppe
sey, die durch zügellose Putzverschwendung ihren Gat-
ten zu Grunde richten werde.

   »Hier sind wir, mein Herr Notarius,» begann Fer-
dinand, »um Ihnen einen schon entworfenen Heiraths-
vertrag zur Beglaubigung zu überreichen. Ich fürchte
fast, Sie werden uns damit auslachen; denn er ge-
hört in der That, nach seinem Ton und Inhalt, nicht
ganz in Ihr Amtsfach. Doch gewisse Ursachen bestim-


 

men mich, unsere Gesinnungen und Grundsätze, mit
welchen wir zum Altar gehen, meinem Vater in einer
von Ihnen bekräftigten Urkunde vorzulegen.« –

   »Ich stehe von ganzem Herzen zu Diensten;« ant-
wortete der Notar, und griff nach der unentbehrlichen
Brille, deren sich der alte Geck, in Gegenwart des
blühenden Mädchens, fast schämte. – O Zeiten! o
Sitten! Im laufenden Jahre 1812 schämen sich bei-
nahe die jüngsten Zierlinge, sich auf der Straße und
vor ihren Liebchen ohne Brille sehen zu lassen. –

   »Ist es Ihnen gefällig, uns diesen Aufsatz vorzule-
sen?« sagte Ferdinand, indem er einen Bogen Papier
aus der Tasche zog.

   Räuspernd stimmte Herr Kilian seine Kehle, um
auch den Ohren im Alkoven verständlich zu werden,
und las dann mit lauter Stimme, wie folgt:
 

E r s t e r  A r t i k e l.

 
   Wir lieben uns innig, wir fühlen, daß wir ohne
einander nicht glücklich seyn können, und verbinden
uns daher auf ewig zu treuen Gatten.
 

A r t. 2

 
   Ferdinand weiht und heiligt sein ganzes Daseyn
Luisen, um ihr durch rastlosen Fleiß ein bequemes und
sorgenfreies Leben zu verschaffen.

 

A r t. 3

 
   Luise wird sich dagegen bestreben, durch häusliche
Wirthlichkeit sich und ihn auf der goldnen Mittelstraße
des ehrlichen Auskommens zu erhalten.
 

A r t. 4

 
   Da im Ehestande oft Kleinigkeiten die Quelle großer
Zwiste sind, so verpflichten wir uns, einander in un-
bedeutenden Dingen ohne den leisesten Widerspruch
nachzugeben.
 

A r t. 5

 
   In der Tracht, zum Beispiel, richtet sich jeder Theil
nach des andern Geschmack. Ferdinand enthält sich
einer allzu nachlässigen Kleidung, um Luisens Auge
nicht zu beleidigen, und Luise vermeidet, sich durch
übertriebenen Schmuck vor der Welt den Schein zu
geben, als wollte sie fremde Männer fesseln. – Die
Hauptzierde unsers Körpers sey – Reinlichkeit, weil
das Gegentheil bei Personen, die in einem nahen
Verein leben, unfehlbar Abneigung und Widerwillen
erzeugt.
 

A r t. 6

 
   Die gebieterischen Worte: ich will, ich bestehe
darauf, ich befehle – werden in unserm häus-
lichen Wörterbuche ganz ausgestrichen.

 

A r t. 7.

 
   Luise wird sich nie in Gesellschaften das geringste
Scheinzeichen von Nichtachtung ihres Mannes entglei-
ten lassen: denn jede Gattin, die sich solche zweideu-
tige Aeußerungen leichtsinnig erlaubt, gibt dadurch
andern Männern gleichsam ein Signal, sich ihr mit Sieges-
Hoffnung zu nahen.
 

A r t. 8.

 
   Ferdinand wird Luisen öffentlich ehren, damit sie auch
von Andern geehrt werde. Er wird keinem andern
Frauenzimmer durch schmeichelhafte Huldigungen, die
über die Schranken der geselligen Höflichkeit hinaus
gehen, einen kränkenden Triumph über seine Gattin
gestatten.
 

A r t. 9.

 
   Wir wollen beide in der Wahl unsers Umganges
vorsichtig seyn, und besonders keine falschen und arg-
listigen Hausfreunde dulden, die, gleich Schlangen im
Busen, die ruhigen Freuden unsers Bundes vergiften
könnten.
 

A r t. 10.

 
   Zwischen Mein und Dein findet keine Gränzscheidung
unter uns Statt. Unser höchstes Gemeingut ist unsre
gegenseitige Liebe; und dieser Schatz, der oft in an-

 

dern Herzen von der eilenden Zeit verzehrt wird, soll
unter ihren Flügeln bei uns wachsen bis an unser
Grab. – –

   »Edle Seelen!« rief jetzt beim Schluß des Vertrages
der Notar, und Thränen der Rührung entflossen ihm.
»Ich stehe dafür, mein junger, wackrer Freund, daß
sich Ihr Vater über dieses schriftliche Zeugniß Ihres
trefflichen Gemüths höchlich erfreuen wird.« –

   »Wahr gesprochen!« sagte Herr Asten und trat aus
dem Alkoven hervor. Die Liebenden staunten und starr-
ten ihn an. »Mein guter Ferdinand!« fuhr er fort
und schloß ihn in die Arme: »Jedes Mißverständniß
zwischen uns sey gehoben und vergessen! Ich billige
deine glückliche Wahl, und erkenne dieses schöne, sitt-
same Kind mit Vergnügen für meine liebe Tochter.« –

   Dankbare Entzückungen und Freudenthränen waren
der Lohn dieser unerwarteten Milde.

   Ferdinand wollte nun seinen Aufsatz, als nicht weiter
nöthig, zurücknehmen; aber der Notar hielt ihn fest.
»Erlauben Sie mir,« sprach er, »das von kaiserlicher
Majestät mir verliehene Siegel darauf zu drücken:
denn rühmen möcht' ich mich gern, diesen vollherzigen
Heirathsvertrag, der jedem andern zum Vorbilde die-
nen sollte, beglaubigt zu haben.«

 

Langbein's sämmtl. Schriften.  XXVII.  Bd.

 
 

Die Erzählung A. F. E. Langbein's aus seinem Buch von 1837 wurde hier weitgehend originalgetreu wiedergegeben. Bis auf die Schrift wurden Form und Sprache beibehalten, die Linien entsprechen den Buchseiten.

 

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